Die meisten von uns standen in den letzten beiden Jahren nur selten auf der Bühne. Durch die Pandemie und den einhergehenden Maßnahmen konnten Kulturschaffende kaum oder gar nicht ihrer Leidenschaft und ihrem Beruf nachgehen. Mit den weitgehenden Lockerungen sieht die Lage nun endlich gut aus und überall werden Konzerte, Festivals und Partys nachgeholt. Doch die potenzielle Rückkehr auf die Bretter, die uns allen die Welt bedeuten, ist nach solch einer langen Pause auch eine Herausforderung. Wir berichten euch von den Schwierigkeiten, denen wir Autor/innen der Bonedo-Vocal-Redaktion mit der Rückkehr in die Live-Praxis begegnen.
Ulita Knaus: Die Perspektivlosigkeit nicht gewinnen lassen
Ulita Knaus ist Echo-Jazz-nominierte Jazzsängerin und Komponistin. Unter ihrem eigenen Label KnausRecords hat sie gerade ihr achtes Album veröffentlicht und gibt Konzerte mit ihrer Band auf Festivals und Clubs. Außerdem ist sie Voice- und Vocal-Coach bei Vocalcraft
Zum Glück war ich nicht komplett raus aus der Auftrittsroutine. Hier und da konnte ich auf Jam Sessions spielen oder durfte als Gastsängerin irgendwo auftreten. Aber das waren wirklich nur sehr, sehr wenige Auftritte seit Coronabeginn. Jedes Mal, wenn dann wieder ein so ein kleiner Auftritt anstand, war ich hin und her gerissen zwischen Unsicherheit und totaler Euphorie, dass ich wieder mit Menschen Musik machen darf. Und dann war auch immer die Angst im Nacken, dass man sich in den Clubs anstecken könnte. Naja, ich habs immer ganz gut hinbekommen, die Bedenken auszublenden und konnte das Musikmachen schließlich voll und ganz genießen. Ganz anders erging es mir mit meinem eigenen Programm und meiner neuen Band, die ich gerade zusammengestellt hatte. Seit 2019 war klar, dass ich ein neues Album aufnehmen wollte. Der Studiotermin stand auch schon fest. Und dann kam Corona.
Mit Proben war also erst einmal nichts, also wurden Termine verschoben. Monate gingen ins Land ohne die Aussicht darauf, dass sich die Lage bessert. Letztlich war es diese Perspektivlosigkeit, die mir sämtliche Energie zu rauben schien. Ich fing an, an allem zu zweifeln. Sollte ich wirklich so viel Geld ausgeben und ein neues Album aufnehmen? Was ist, wenn man mir anhört, dass ich mental nicht ganz gelöst bin. Was, wenn sich die Songs verkrampft anhören? Schließlich waren wir ja alle unter Anspannung. Und dann die Frage: wird es überhaupt Live-Konzerte geben? Ich habe es trotz allem durchgezogen. Das Album ist jetzt da und ich bin sehr froh, dass ich mich nicht habe ausbremsen lassen. Ein Glücksfall war es dann auch, dass wir schon vor der Veröffentlichung ein Konzert mit dem neuen Programm spielen konnten. Wahnsinn! Das war ein so großes Geschenk. Bis zum Soundcheck vor dem Konzert war noch nicht mal sicher, ob wir spielfähig sein würden, weil die Freundin einer meiner Musiker positiv auf Corona getestet wurde. Hätte also sein können, dass sie ihn noch vor dem Konzert ansteckt. Das ist glücklicherweise nicht passiert und so hatten wir ein wundervolles erstes Konzert.
Und obwohl ich nach zwei langen Sets plus Zugaben völlig schweißgebadet war (mein Körper war einfach nicht mehr fit), habe ich jede Minute genossen. Das Erlebnis auf der Bühne fühlte sich an wie ein Déjà-vu. Oder beinahe wie eine Vision. Manchmal war es auch so, als wäre Corona nur ein böser Albtraum gewesen. Und dann stehe ich dort und zähle meine Band ein. Der erste Song klingt noch etwas unsicher, doch beim zweiten Song bin ich zu Hause. Meine Bühne, mein Wohnzimmer. Alles – meine Ansagen, die Reaktionen aus dem Publikum, der Applaus, die Weinschorle neben meinem Monitor – fühlt sich vertraut an. So wie immer halt. In der Pause und nach dem Konzert stehe ich wie immer am Merchandise-Stand. Schnacke und lache mit den Leuten und signiere die CDs. Unter dem Stehtisch neben meinen Füßen sammelt sich (wie immer) das Zellophanpapier, das ich ritsch-ratsch von den CDs reiße, um auf dem Cover zu unterschreiben. Wow, das fühlt sich so unglaublich gut und richtig an. Erst jetzt merke ich, wie sehr ich die Sehnsucht nach diesem Gefühl verdrängt hatte. Als später am Abend nur noch der Veranstalter und ich übrig sind und selbst der Drummer sein Set komplett ins Auto verladen hat, gehe ich in meine Garderobe und ziehe mich total erschöpft aber tiefst zufrieden um. Okay Corona, verpiss dich jetzt endgültig. Wir wollen wieder ganz viele Konzerte geben und die Welt und uns für einen Moment glücklich machen.
Ulita Knaus – Website
Nina Graf: Kämpfen und siegen
Nina Graf aka Miu ist Frontfrau und Bandleaderin ihrer Band MIU, Songwriterin, Marketingprofi, Indie-Labelbetreiberin. Außerdem schreibt sie für die Vocal-Redaktion bei Bonedo.
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Es ist Winter Anfang 2021. Mir fällt die Decke auf den Kopf, mich betrüben die Nachrichten und ich möchte die Leute, die mir sagen „Aber der Kultur wird doch geholfen!“ ins Gesicht schreien. Das Wetter ist grau, ich hab keine Lust, mich ans Klavier zu setzen und erst recht nicht, im Wohnzimmer ziellos vor mich hin zu trällern. Ich quäle mich, ein paar Skalen zu singen und alles wirkt so trost- und sinnlos. „Jaja, die Künstler brauchen ihren Applaus!“ Bullshit, ich brauche einfach eine Aufgabe, die nicht nur komplett aus mir selbst kommen soll, ihr anderen findet Homeoffice doch auch ätzend.
Mir geht es in diesen Monaten so schlecht, dass ich mich wirklich frage, ob ich jemals wirklich Sängerin werden wollte, und überlege, alles hinzuschmeißen. Auch Songwriting fühlt sich an, wie mit der falschen Hand zu schreiben. Als hätte ich das noch nie gemacht. Mein Inspirationsspeicher ist gähnend leer. Im Frühjahr und Sommer 2021 geht dann plötzlich alles schnell. Dank des geförderten Kultursommers trudeln Giganfragen ein und ich gehöre zu den Glücklichen, die 2021 so viel spielen wie in kaum einem anderen Jahr. Die ersten Gigs sind wackelig. 90 Minuten den Atem stützen und sich auf der Bühne bewegen? Wie habe ich das jemals hingekriegt? Nach einem Konzert tut mir der ganze Körper weh und ich bin sehr erschöpft. Meine Range ist merklich eingedampft, aber meine Songs tiefer zu transponieren, erscheint mir wie eine Niederlage, ohne erst den Wettkampf angetreten zu haben. Und so kämpfe ich mich wieder ran. Von Gig zu Gig und auch dazwischen. Ich nehme – auch als Profi – Unterricht bei einem tollen Gesangscoach, der mich unterstützt und wieder fit macht. Und irgendwann ist alles wieder da. Mit Leichtigkeit, mit Spaß und ab der ersten Probe wird mir schon bewusst, dass ich natürlich Spaß an Musik, Singen und Instrumenten habe, aber man nicht ewig aus sich allein davon zehren kann. Wir brauchen Begegnungen mit Mitmusikerinnen und -musikern, mit Publikum, wir brauchen Ziele, Events und Projekte. Es ist Winter Anfang 2022. Mir fällt die Decke auf den Kopf, mich betrüben die Nachrichten noch mehr als im Vorjahr, aber ich habe das letztes Jahr schon einmal erlebt. Und ich weiß, ich kämpfe mich wieder raus.
Miu – Website
Leon Kaack: Vorbereitung ist alles
Leon Kaack ist Gitarrist, Front- und Backgroundsänger aus Hannover, in Bands verschiedenster Genres aktiv und seit Ende 2019 vor allem mit seinem Projekten KAAK und ALINA BACH präsent.
Als Newcomer im groben Umfeld „Laute Gitarrenmusik“ ist es ohnehin nicht leicht. Das Feld ist extrem dicht gedrängt und gerade im Live-Betrieb noch dichter, weil laute Rockbands zu Beginn ein eher kleines Publikum ansprechen und wegen ihrer Lautstärke nicht überall spielen können. Uns hat Corona mitten in der groß angelegten und aufwendigen Promo-Phase zu unserem Debutalbum erwischt und nicht nur die für Rockbands im Aufbau sehr wichtige Live-Praxis verhindert, sondern die Booking-Vorläufe in den betreffenden Clubs quasi um über ein ganzes Jahr verlängert, sodass wir nun wirklich quasi keine Chance haben, zu spielen.
Aber wenn es dann jetzt doch mal passiert, bin ich natürlich endlos dankbar dafür und versuche, aus dieser seltenen Gelegenheit auch das meiste herauszuholen, indem ich meiner Aufregung und dem Bühnenrost mit der bestmöglichen Vorbereitung beikomme. Meine größte Sorge vor Gigs mit meiner Band ist und war schon immer meine Stimme. Als Frontmann einer Post-Hardcore-Band muss ich zwischen 30 und 60 Minuten lang nicht nur Gitarre spielen, performen und dabei oft sehr hoch und laut singen, sondern auch relativ viel schreien. Natürlich tue ich das mit Technik, sonst wäre das keine zehn Sekunden lang möglich. Aber ohne eine intensive Vorbereitung kommt nach vier Songs absolut nichts mehr aus meinem Mund. Und seitdem mir das, aufgrund mangelnder Vorbereitung, einmal auf der Bühne bei einem guten Slot passiert ist, war es für mich schon vor Corona normal, zwei bis drei Wochen vorher damit zu beginnen, meine Stimme und meinen Körper vorzubereiten, was bedeutet, dass ich alle paar Tage ein paar Stunden singe. Leichte Aufwärmübungen, ein paar entspannte Songs, ein paar schwerere Stimmbildungsübungen, ein paar schwerere Songs und zum Schluss entweder ein Durchlauf des Sets oder einige reine „Schrei“-Songs anderer Künstler. Nur dann kann ich mir sicher sein, dass ich mich bei einer Show zu 100 % auf meine Stimme verlassen kann. Und weil auf der Bühne immer alles anders ist – und vor allem alles lauter ist als mein Monitor –, versuche ich auch diese Situation zu simulieren, indem ich mit Instrumental-Playbacks auf Bühnenlautstärke, Gehörschutz und Gitarre um den Hals einige Durchläufe des geplanten Sets spiele. Meinen Gesang drehe ich dabei auf der Proberaumanlage gerade so laut, dass ich ihn höre. Das ist zwar nicht optimal, aber so ist es auf der Bühne in der Regel auch nicht und so kann ich wenigstens in einer sicheren Umgebung üben, mich davon nicht verunsichern und mich von meinem Stimm- und Körpergefühl leiten lassen, wenn das Monitoring mal wieder nicht mit unserer Bühnenlautstärke mithalten kann. Wenn es dann doch lauter ist als erwartet – umso besser!
KAAK – Website
Sabine Dittrich: Vorbereitung ist alles, Part 2
Sabine Dittrich ist die Fronterin der Modern-Songwriter-Metal-Band Papierflieger, die dieses Jahr ihr Debütalbum herausbringen. Sie coacht in ihrer eigenen Gesangsschule, dem Stimmenwerk (Link: https://www.stimmenwerk.de), Sängerinnen und Sänger aus den Bereichen Pop, Rock, Singer-Songwriter und cleanen Metal-Gesang. Außerdem fördert sie u. a. im Rahmen von Stimmenwerk-Sessions und den Stimmenwerk Akustik-Tapes Nachwuchs-Sängerinnen und -Sänger mit einem ganzheitlichen musikalischen Ansatz.
Die Pandemie hat mich und meine Band gerade an dem Punkt erwischt, an dem wir einen neuen Bassisten gefunden hatten und wieder bereit waren live in neuer Besetzung durchzustarten. Ich glaube, wir haben für uns das Beste aus den letzten zwei Jahren ohne die gewohnte Anzahl von Gigs gemacht. Wir haben uns, sofern es die Situation zuließ, nicht nur online, sondern auch im Proberaum getroffen. So ist in der Zeit unser Debütalbum entstanden, dass wir jetzt kürzlich im Studio aufgenommen haben. Darum lag mein Fokus die letzten Monate verstärkt auf unserem Schreibprozess, dem Texten und darauf, für mich neue stimmliche Facetten und Sounds zu erarbeiten. Da wir uns durch den fehlenden Live-Betrieb ganz auf unser Reframing als Band konzentrieren konnten, habe ich mich selbst der Challenge gestellt, mich für die Albumaufnahmen stimmlich auf ein nächstes Level zu arbeiten. Wir hatten uns als Band darauf verständigt, für unser Album noch eine Gangart härter zu werden. Das hieß für mich ganz konkret an harsheren Vocal-Sounds zu arbeiten und mich auch körperlich auf die Studiosituation vorzubereiten. Von daher hatte ich seit Jahresende bis zum Studioaufenthalt im März mein tägliches Übe-Pensum verdoppelt und habe mich einmal in der Woche in studioähnlicher Situation aufgenommen. Einfach, um in einen Flow zu kommen, der der Arbeit im Studio sehr nah kommt. So musste ich mich mehrere Stunden am Stück konzentrieren und stimmlich auf den Punkt abliefern, denn auch die Vorproduktion nimmt alles sehr genau „unter der Lupe“ und macht jede Kleinigkeit hörbar. Auch mein Sportprogramm hatte ich seit den letzten Monaten etwas erhöht und angepasst. Ich habe dabei gezielt auf eine Abwechslung von Konditions- und Krafttraining gesetzt und bei den Kraftübungen darauf geachtet, dass ich viele Core-Übungen zur Rumpfstabilisierung mache. Das hat sich während der Studioarbeit wirklich ausgezahlt. Ich bin super zufrieden, wie die Aufnahmen geworden sind und freue mich jetzt auf die finalen Song-Mixe und darauf, bald die neuen Songs live präsentieren zu können. Ich glaube, meine Übe- & Trainingseinheiten der Studiovorbereitung werden sich auch auf meine Live-Performance positiv auswirken. Ich behalte das auf jeden Fall bis zu unserem ersten Auftritt im Mai bei und brenne gerade noch mehr darauf, endlich wieder live spielen zu können.
Papierflieger – Website
Catharina Boutari: It’s a long way back to the top
Catharina Boutari aka Puder, macht Independent Popmusik und hat im Rahmen ihrer Puder Sessiontapes unter dem Motto „Pop & Politics“ 2021/22 mehrere Singles mit Künstlerinnen und Künstlern aus Europa geschrieben und veröffentlicht. Außerdem führt sie ein feministisches Label (Link: http://pussy-empire.de/startseite.html) und leitet die Vocal-Redaktion bei Bonedo.
Nach dem ersten Lockdown 2020 war es ganz schlimm. Jede Faser von mir hatte sich darauf gefreut, wieder vor echten Menschen zu stehen und Musik zu machen. Als es soweit war, überkam mich eine große Unsicherheit, da ich die letzten Wochen, gezwungenermaßen, völlig introvertiert und isoliert gewesen bin. Unerwartet musste ich binnen Minuten einen totalen Shift machen und meine Innensicht zurück nach außen stülpen. Vor all den Leuten. Das war ganz schön hart. Körperlich war ich auch unfit und das ersehnte Konzert nicht mühelos und losgelöst, sondern ein Kampf zurück ans Licht.
So hart ist es seitdem nicht mehr geworden. Und das, obwohl der zweite Lockdown viel länger und trostloser war. Ich wusste mental, was kommen würde und habe mich mit Online-Songwritingsessions mit Musikerinnen und Musikern aus ganz Europa über dieses Loch hinweggerettet und sobald wie möglich wieder angefangen zu proben. Ich war im Studio, ich habe bewusst viel gesungen und Sport gemacht, um wieder fit zu werden und zu bleiben. Auch dank der Konzerte im Sommer 2021 bin ich ganz gut durch den letzten Winter gekommen. Aber trotzdem blicke ich mit Respekt auf mein nächstes Konzert in drei Tagen. Denn da, wo ich live vor Corona war, bin ich trotz aller Vorbereitung bestimmt noch nicht wieder.
Puder – Website