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Zwingt Corona jetzt auch berühmte Musiker zur beruflichen Neuorientierung?

Zu Diskutieren, welche Branche, noch besser welche Einzelperson am Meisten und am Schlimmsten von der nun seit bald einem Jahr andauernden Corona Pandemie betroffen sind, führt natürlich zu nichts. Dass die Musikindustrie, wie auch die gesamte Kulturbranche zur wirtschaftlichen Hochrisikogruppe zählen, sollte dennoch klar sein. Das große Problem der Künstlerinnen und Künstler geht dabei vor allem auf eine Kombination verschiedener Umstände ihrer Arbeit zurück. Diese bestanden auch vor Corona schon.

FOTO: Rainer Knäpper
FOTO: Rainer Knäpper

Zunächst besteht die sogenannte Kreativbranche sowieso aus einer ungewöhnlichen Mischung grundverschiedener Berufe, Charaktere und Interessengemeinschaften. Eine geschlossene Lobbyarbeit für eine laute Stimme innerhalb der deutschen Politik kann gar nicht funktionieren, wenn zuerst Indie-Künstler und Major-Artists, Theater-Schauspieler und bildende Künstler, milliardenschwere Ticketverkäufer und selbstständige Tattoowierer auf einen gemeinsamen Nenner kommen müssen. Dass die umstrittene Künstlersozialkasse als einzige offiziell branchenübergreifende Institution zählt, sagt schon alles. 
Ebenfalls bringt das Modell Solo-Selbstständigkeit, das für die meisten Musiker und Künstler völlig normal ist, viele Probleme. Die Überbrückungshilfen vom Staat gingen fast ausschließlich an Selbstständige mit einer kleinen Firma, mit angemieteten Büros und wenigen Angestellten, die bezahlt werden müssen. Laufende Kosten sollten gedeckt werden. Als Musiker, der im eigenen Wohnzimmer Songs schreibt und ansonsten auf der Bühne zuhause ist, kommen so gut wie keine laufenden Kosten im Berufsleben zusammen. Die Familie muss dennoch ernährt werden. 
Auch schwanken die Einkünfte von tourenden Musikern und Musikerinnen traditionell stark. Eine Tour bringt einen großen Haufen Geld, der meist mehrere Monate halten muss. Wenn die Bundesregierung also beschließt die sogenannten Novemberhilfen anhand des Einkommens des letztjährigen November zu berechnen, guckt man schnell mal in die Röhre. Falls im letzten November gerade mal keine Tour gespielt wurde, gibt es auch keine Novemberhilfen. Und falls man doch zu den Glücklichen zählt, denen eine stattliche Hilfszahlung zusteht, dauert es gut und gerne zwei bis drei Monate, bis überhaupt irgendwas ausgezahlt wird. Über das vergangene Wochenende ging ein passendes Meme in den sozialen Medien herum, das von einem Tattoowierer gezeichnet wurde: Zu sehen ist der Schriftzug “Soforthilfen”, wobei das “Sofort” gerade von einem Schwein im Anzug durch ein “Später” überklebt wurde. 

Dennoch scheinen bisher die ganz großen Katastrophen in der Industrie auszubleiben. Natürlich wurden viele kleinere Künstler und Menschen, die hinter den Kulissen als Booker, Techniker oder Roadie arbeiten, gezwungen umzudenken. Viele sitzen in Kurzarbeit fest und müssen zusehen, wie das Geld reicht. Andere sind schon früh auf neue Jobs umgestiegen oder leben sogar von Arbeitslosengeld. Manche Firmenchefs haben letzten Sommer Open-Air Veranstaltungen auf die Beine gestellt, um den Angestellten und auch den Musikern Jobs und Gagen zu verschaffen, stehen nun aber als Firma schlecht da, weil die Open-Airs zwar gut besucht, aber wirtschaftlich nicht tragfähig waren und die Bundesregierung Unternehmenshilfen anhand von Umsätzen und nicht von Gewinnen vergibt. 
Mittlerweile scheint es allerdings nach den ersten Schließungen von Traditionsclubs, dem langsamen Überdruss an Livestream-Konzerten und der Unmöglichkeit bei Minusgraden Open-Airs zu veranstalten, immer dramatischer zu werden. Im Dezember beschwerten sich Songwriter aus England über ihre prekäre Situation. Neil Young erzählte von Musiker-Kollegen, die trotz der Beteiligungen an Nummer 1-Hits mittlerweile als Taxifahrer Geld verdienen müssen, weil kein Geld durch Konzerte reinkommt. 
Häufig hört man zudem völlig überflüssige kritische Stimmen, die monieren es würde sich hierbei sowieso nur um Leute handeln, die nie richtig gearbeitet hätten, sowieso nur von der Hand in den Mund leben und sich ihre prekäre Situation selbst ausgesucht hätten. Die komplette Kreativwirtschaft, mit mehreren Milliarden Euro Umsatz im Jahr, wird plötzlich zu einer Randgruppe wegdiskutiert. Dass solche Behauptungen quatsch sind, beweist das aktuelle Beispiel von Leo Schmidthals.
Schmidthals verdient sein Geld als Bassist der erfolgreichen deutschen Band Selig. Die Geschichte der Band schmücken Echos, Goldene Schallplatten, ausverkaufte Tourneen und Auftritte bei den größten deutschen Festivals. Nebenbei arbeitete Schmidthals zudem als Film- und Theatermusik-Komponist und als Dozent. Auch über den Corona-Sommer 2020 waren Selig nicht untätig: Neben Open-Air Konzerten im Hamburger Stadtpark und einem Live-Album, das im November erschien, produzierten sie ihr neues Album “Myriaden”, welches im März das Licht der Welt erblicken wird. 
Dennoch dachte der Bassist jetzt in einem Interview mit der Welt öffentlich darüber nach, der Musikindustrie den Rücken zu kehren und einen beruflichen Neuanfang zu wagen. Trotz über 30 Jahren Erfahrung und besten Kontakten in der Szene, verdient er seit Monaten nicht genug Geld, um seine Familie zu ernähren. In die Verantwortung für diese prekäre Situation zieht Schmidthals neben der Bundesregierung auch die Gesellschaft: “Über die Jahree habe ich so viele Steuern gezahlt – jetzt würde ich mit etwas Anerkennung der Gesellschaft in Zeiten der Not wünschen.”
Zudem warnt der Bassist vor einem Ausbluten der Kunst- und Kultur-Szene. Wenn in einigen Monaten hoffentlich wieder alles seinen gewohnten Weg gehen könne, werden viele Schlüsselfiguren und Kreative der Szene bereits gezwungener Maßen den Rücken zugekehrt haben, prophezeit der Hamburger. Die großen Pop-Stars betrifft das sicherlich nicht. Das Team dahinter vom Songwriter zur Videoregisseurin könnte dann allerdings auf einmal weg sein.   

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