Schlicht die “Revolution im Bereich der Audio-Aufnahme” verkündet der polnische Hersteller Zylia mit seinem “Zylia Portable Recording Studio”.
Schon die Umverpackung ziert der selbstbewusste Slogan “Record audio like never before” und “spherical microphone that rocks your world” – also frei übersetzt: “Audio aufnehmen wie nie zuvor” und “Ein Kugelmikrofon, das eure Welt auf den Kopf stellt”.
Aber was ist so besonders am Zylia Portable Recording Studio? Das Zylia-Studio besteht aus einem Kugelmikrofon, das nahezu Rundum-Klang aufnehmen kann, und einer Aufnahmesoftware, die im Nachhinein die aufgenommenen Signalquellen separieren kann. Diese einzelnen Spuren können dann für das Mixing exportiert und separat bearbeitet werden.
Anders ausgedrückt: Man stellt ein einzelnes Mikrofon in die Mitte, gruppiert die Musiker drum herum und erhält eine Mehrspuraufnahme, bei der einzelne Instrumente oder Stimmen noch in Pegel und Klang bearbeitet werden können. Das ist jetzt vielleicht noch keine Audio-Revolution, aber sicherlich spektakulär – wenn es denn funktioniert. Und genau das habe ich ausprobiert!
Details
Das Zylia Portable Recording Studio
Das Zylia-System besteht aus zwei Hauptkomponenten: dem Zylia ZM-1 Kugelmikrofon und der Aufnahmesoftware “Zylia Studio”. Optional sind noch das Plug-in “Zylia Pro” und der “Zylia Ambisonics-Converter” erhältlich (zu deren Funktion sage ich gleich mehr).
Die Theorie – grau und schon etwas älter
Die Technik, auf der das ganze Zylia-Prinzip beruht, ist schon etwas älter und hat ihren Ursprung bei militärischen Radar- und Sonar-Anwendungen: Das “beamforming” oder auch “spatial filtering” (frei übersetzt mit “Richtstrahl-formen” und “räumliches Filtern”) ist so eine Art Positionsbestimmung von Signalquellen im Schallfeld. Durch Amplituden- und Laufzeit-Modulation und mit Hilfe digitaler Filter kann man die “Aufmerksamkeit” eines Mikrofon-Arrays auf bestimmte Signalquellen im Raum richten. Heute wird dieses Verfahren vor allem bei akustischen Messungen (zum Beispiel in der Automobil-Branche), in der Konferenz-Technik oder der Hörgeräte-Akustik verwendet.
Das Zylia Portable Recording Studio ist – meines Wissens nach – das erste beamforming-System, das sich speziell an den Musiker und seinem Wunsch nach einem einfachen und dennoch leistungsstarken Aufnahme-System richtet.
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Das ZM-1-Mikrofon
Das Herzstück des Zylia Portable Recording Studios ist das knuffige schwarze Kugelmikrofon, das aussieht, als wäre es frisch aus dem neusten Star-Wars-Film entsprungen. Beim ZM-1 handelt es sich um ein Mikrofon-Array mit insgesamt 19 Mikrofonkapseln, allesamt Kondensator-Mikrofone mit der Richtcharakteristik Kugel. Zehn der 19 Mikrofonkapseln befinden sich auf der oberen Hälfte der Kugel, neun auf der unteren Hälfte. Ein kleiner roter Punkt am Mikrofon-Äquator zeigt die Haupteinsprechachse des Mikrofons – im Prinzip also “vorne”. Eigentlich gibt es beim Kugelmikrofon ja kein “vorne”, aber der Punkt wird wichtig, wenn man mit den voreingestellten Mikrofon-Kalibrierungen arbeitet (was es damit auf sich hat erkläre ich gleich …).
Am unteren Pol der Kugel befinden sich ein Mini-USB-Anschluss und ein Stativgewinde. Die Anordnung der Mic-Kapseln erscheint auf den ersten Blick zufällig und interessanterweise finden sich im Netz Fotos eines älteren ZM-1-Prototypen, bei dem die Mikrofone noch symmetrisch angeordnet waren. Erfahrungen in der Messtechnik zeigten allerdings, dass man beim “beamforming” bessere Ergebnisse erzielt, wenn die Mikrofone nicht symmetrisch angeordnet sind.
Stativ und Standfuß
Der Stativhalter des Zylia ZM-1 ist clever gelöst: Am Mikrofon selbst befindet sich ein ¼-Zoll-Gewinde, diese Gewindegröße ist bei Kamera- und Video-Stativen gebräuchlich. Zusätzlich kann man am ZM-1 einen Standfuß anbringen und das Mikrofon zum Beispiel auf einen Tisch stellen. Dieser Stativfuß hat aber noch ein Gewinde für die üblichen Mikrofonstative, inklusive dem üblichen Schraubadapter vom 5/8-Zoll- auf 3/8-Zoll-Gewinde. Der Standfuß besitzt eine Aussparung für die USB-Buchse, man muss also bei aufdrehen aufpassen, dass der Anschluss fürs Kabel frei bleibt. Damit sich der Standfuß nicht verdreht, ist die Bodenplatte des Mikrofons gummiert und so passgenau gefertigt, dass der Fuß festen Sitz hat, wenn die Aussparung mit der Buchse übereinstimmt – das ist mal gut konstruiert!
Verbindung zum Rechner
Das ZM-1 wird mit einem einfachen Mini-USB-Kabel mit dem Aufnahmerechner verbunden. Als ich meine ersten Aufnahmen machen wollte, tat sich erstmal gar nichts. Eine Nachfrage bei Zylia wurde schnell beantwortet: Es gäbe Probleme mit einigen USB-Kabeln, ich solle einfach mal das Kabel tauschen. Gesagt, getan: Mit einem rumliegenden Mini-USB-Kabel einer externen Festplatte konnte es dann endlich losgehen. Bis zur Serienreife ist dieses Problem sicherlich aus der Welt geschafft.
Sieht cool aus: Der LED-Ring
Sobald die Verbindung mit dem Aufnahmerechner hergestellt ist, zeigt ein LED-Ring am Äquator des Kugelmikrofons auf recht coole Weise den Status des Zylia ZM-1-Mikrofons: Einfach nur mit dem Rechner verbunden, leuchtet der Ring weiß. Wird das ZM-1 vom Rechner erkannt, wechselt die Farbe auf Blau und sobald das ZM-1 und die Zylia-Studio-Software aufnahmebereit sind, wechselt die Farbe zu Rot.
Vor der Aufnahme: Mikrofon kalibrieren!
Das Zylia Portable Recording Studio ist schnell aufgebaut und das System in Sekundenschnelle startklar: Einfach das ZM-1-Mikrofon in die Mitte zwischen die Musiker stellen, das USB-Kabel anstecken und die Zylia Studio-Software starten … und doch noch nicht gleich loslegen, den erst gilt es dem Zylia-System mitzuteilen, in welcher Position sich die einzelnen Signale zu Mikrofon befinden. Dazu muss das Mikrofon “kalibriert” werden, im Prinzip werden die 19 Mikrofonkapseln in diesem Prozess den entsprechenden Signalen “zugewiesen”. Der Vorgang ist einfach: Jeder Musiker spielt die vom Zylia-Programm vorgegeben acht Kalibrier-Sekunden, danach weiß das ZM-1, welches Signal wo verortet wird und zeigt dies als Signalquelle auf der 360-Grad-Sphäre an, inklusive der berechneten Höhe der Signalquelle im Bezug zum Mikrofon. Diese Daten werden in ein Kalibrierungs-File geschrieben und im Aufnahmeordner abgelegt. Macht man viele Aufnahmen mit identischem Setup, muss man das ZM-1 nicht immer neu kalibriere. Man kann einer Aufnahme auch eine vorhandene Kalibrierung “überstülpen”.
Für die gängigen Anwendungen im Bereich der Stereo- oder Surround-Aufnahme hat Zylia schon Kalibrierungs-Files für uns erstellt, die man aus einer Library auswählen kann. Diese fertigen Kalibrierungs-Files sind auf die 0°-Grad-Achse eingestellt. Spätestens wenn man hier eine Stereo-Mikrofonierung auswählt, muss man das Mikrofon mit dem roten Punkt auf die Schallquellen ausrichten.
Hungriger Speicherfresser
Da die Aufnahme-Parameter des Zylia Portable Recording Studios mit 48 kHz und 24 Bit vorgegeben sind und da immer alle 19 Spuren aufgenommen werden, sollte man den benötigten Speicherplatz nicht unterschätzen! Das Zylia-System ist ein hungriger Speicherfresser: Für eine sechs Minuten dauernde Aufnahme benötigt man knapp ein Gigabyte an Speicherplatz. Wer also zum Beispiel ein Konzert mit eineinhalb Stunden Länge aufnehmen möchte, muss demnach 15 GB an freiem Speicherplatz einplanen! Da kommt also so einiges an Datenmaterial zusammen. Und weil die Datenmenge so groß sind, erreicht man mit dem Zylia die kritischen 2 GB für eine Datei nach 25 Minuten, länger als diese Zeit kann eine einzelne Aufnahme mit dem Zylia nicht dauern.
Die Dateiverwaltung des Zylia-Systems ist noch sehr rudimentär. Standardmäßig speichert die Software alle Aufnahmen einfach in einem Sessions-Ordner und dieser Ordner wird zudem schön in den System-Daten versteckt (unter macOS im Ordner “Library/Application Support/Zylia/sessions). Man kann der Software zwar einen anderen Ordner zuweisen, aber ich fände es besser, wenn ich vorher gefragt werden würde, wohin die Daten geschrieben werden sollen – allerdings ist das wieder ein zusätzlicher Schritt mehr auf dem Weg zur schnellen und einfachen Aufnahme. Einigen wir uns auf folgendes: Zumindest wäre es nett, wenn die Daten leicht auffindbar in den Dokumenten-Ordner des Users geschrieben werden würden …
Die Aufnahmesoftware Zylia Studio
Aufgenommen wird mit der Software Zylia Studio, und momentan sind Aufnahmen nur in Verbindung mit dieser Software möglich. Zylia arbeitet aber nach ihren Angaben an einer direkten Einbindung des ZM-1-Mikrofons in die gängigen DAE-Systeme (Stand 02/2018)
Obwohl die Oberfläche der Software sehr einfach und übersichtlich gehalten ist, leistet die Software unter der Haube einiges! Aber Zylia hat die Software so gestaltet, dass der “einfache” Anwender von der ganzen Berechnung des “beamforming” nichts mitbekommt. Das gefällt mir gut: Das System ermöglicht dem User die einfachste Benutzung einer eigentlich recht komplizierten Technik.
Das Plug-in Zylia Pro
Als Erweiterung des Zylia Portable Recording Studio gibt es das Plug-in Zylia Pro. Dieses Plug-in ist im Prinzip die Beamforming-Engine der Studio-Software als VST/AU-Plug-in.
Auf der Festplatte landet ja immer das komplette Signal des Mikrofon-Arrays, also insgesamt 19 Spuren. Dieses Multitrack-File kann man in eine Sequenzer-Software importieren – vorausgesetzt, diese Software kann mit solchen Multitrack-Files umgehen. Mit dem Plug-in Zylia Pro kann man nun nachträglich die Position und Richtcharakteristik der virtuell errechneten Mikrofone für die Ausnahmesituation verändern und nach Belieben weitere virtuelle Mikrofone hinzufügen. Das Ganze erinnert mich an die Fotografie: Dort gibt es das Jpeg-Format und die kompletten Daten des Bildsensors. Das Jpeg wäre bei uns das Stereo-File: eine datenreduzierte Version des Bildes. Die Sensordaten wären bei uns das 19-Track-File: Mit dem Pro-Plug-in können wir die Aufnahme noch tiefgreifend verändern, was die Mikrofonpositionen angeht.
Spezialfall: Ambisonics Converter
Für den Einsatz bei 360°-Grad-Videos oder Virtual-Reality-Anwendungen hat Zylia den Ambisonics-Converter entwickelt. Mit dieser Software lassen sich die Roh-Aufnahmen des Zylia-Systems in das Ambisonics-Format umwandeln.
chris23086 sagt:
#1 - 12.03.2018 um 15:20 Uhr
Prima Idee, nur viel zu teuer. Wird sich so bestimmt nur schwer verkaufen. Schade!