Der Kölner Schlagzeuger Marcus Rieck hat in Eigenregie ein Schlagzeugbuch veröffentlicht, das Drum Book 44. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen typischen Schlagzeug-Lehrbuchinhalt, der Koordination, Technik oder unterschiedliche Stilistiken in den Fokus nimmt. Es ist vielmehr eine Sammlung von 44 Patterns und Grooves, die aus einem kreativen Übeprozess entstanden sind. Ein recht bekannter Drummer gab den Ausschlag, dass aus den zunächst einzeln veröffentlichten Beats schlussendlich eine Sammlung in Buchform wurde.
Ich habe mit Marcus Rieck über sein Drum Book 44 gesprochen und wollte obendrein erfahren, was er denn sonst so musikalisch macht und was ihn als Künstler und Schlagzeuger inspiriert.
Hallo Marcus, erzähl doch mal, wie die Groove-Sammlung zustande gekommen ist, die jetzt im Buch zu finden ist.
Die meisten Beiträge, die im Buch zu finden sind, stammen aus dem Jahr 2021. Ziemlich genau vor drei Jahren, im März 2020, hatte ich damit begonnen, kleine Patterns und Grooves zu entwerfen, nachdem ich in dem Buch „Let’s Go (So We Can Get Back) von Jeff Tweedy, Sänger und Gitarrist der amerikanischen Band WILCO, dessen Rat gelesen hatte, jeden Tag etwas Kreatives zu entwerfen. Seither habe ich regelmäßig Ideen in kleine Notizbücher mit Mathekästchen geschrieben und bin manchmal erstaunt darüber, was im Laufe der Jahre alles zusammengekommen ist. Viele Entwürfe habe ich spielerisch umgesetzt und ein entsprechendes Video aufgenommen, um das Ergebnis klanglich festzuhalten.
Im Vorgespräch fiel öfter der Name Glenn Kotche, was verbindet dich mit ihm?
Glenn Kotche, Schlagzeuger von WILCO, ist seit etwa 20 Jahren mein größtes Vorbild. Seine Grooves treffen für mich immer genau den Nagel auf den Kopf und verleihen jedem Song einen wunderbar besonderen Charakter. Sein Buch „A Beat a Week“ mit 52 Beats aus seinem Repertoire und auch sein „DrumBeatProject“ waren für mich Inspiration, meine gespielten Beiträge auf meiner Instagram-Seite @marcusrieck zu veröffentlichen. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als Glenn eines Tages einen meiner Beiträge kommentiert hat und seither zu meinen Followern zählt. Er hat mich einmal in einem Podcast von Sarah Hagan erwähnt auf die Frage hin, welche unbekannteren Schlagzeuger ihn während der Corona-Pandemie inspiriert haben.
Glenn hat mich in den letzten drei Jahren immer wieder beflügelt. Allein das Gefühl zu haben, dass er meine Beiträge verfolgt, hat mich immer motiviert. Mit seinem Kommentar „I hope, you are writing a book, cause I want one!” hat er vielleicht auch den Ausschlag gegeben, das Projekt „Drum Book 44“ in Angriff zu nehmen. Letztes Jahr habe ich Glenn bei den WILCO-Konzerten in Köln und Frankfurt zweimal getroffen und ihm auch das Buch überreicht. Das war für mich ein unglaublich schöner Moment.
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Die Grooves spielst du fast immer in reduzierter Lautstärke, oft mit Besen, Rods oder gedämpften Trommeln. Was hat es damit auf sich?
Dahinter stecken einerseits äußere Umstände, denn mit dem Aufnehmen der Videos habe ich während der Corona-Pandemie begonnen. Meine Kinder waren oft zu Hause beim Homeschooling und ich habe mein Spielen vom Proberaum in die häuslichen Wände verlegt. Ein kleines Übe-Set mit gedämpften Trommeln sollte vor allem verhindern, dass die Nachbarn gestört werden. Aus diesen Umständen heraus ist aber eine Motivation entstanden, sich mit kleinen Mitteln musikalisch auszudrücken. Irgendwie hat mich die Akustik in dem kleinen Dachgeschoss auf viele Ideen gebracht, die sonst nicht entstanden wären. Beim Spielen habe ich eine besondere Liebe zum Detail entwickelt und mein Bewusstsein gestärkt, dass Kleinigkeiten eine große Wirkung auf das Ergebnis haben.
Was war dir beim Druck und bei der Gestaltung des Buches wichtig?
In dem Buch wollte ich den persönlichen Charakter meiner Notizbucheinträge bewahren. Dazu habe ich immer eine Abbildung der Bleistift-Transkription und die englische Wortbeschreibung des gespielten Inhaltes gegenübergestellt. Dies entspricht auch genau der Weise, in der ich meine Inhalte auf Instagram präsentiere. In den Texten erkläre ich neben der musikalischen Form, worauf es beim Spielen ankommt und was mich zu meiner Idee inspiriert hat. Im Buch gibt es einen QR-Code, mit dem der Leser zu einem YouTube-Video gelangt, welches mich beim Spielen aller im Buch enthaltenen Beiträge zeigt.
Das Drum Book 44 ist auf hochwertigem Papier in einem handlichen Format mit Fadenbindung gedruckt. Sehr froh bin ich über das Titelbild, welches die Illustratorin Rebecca Bernau entworfen hat. Zu Rebecca Bernau habe ich einen persönlichen Bezug in der Weise, dass ein Jahreskalender mit ihren Illustrationen im Hintergrund meiner aufgenommenen Videos zu sehen ist und chronologisch den Verlauf eines Jahres widerspiegelt.
Wo und wie kann man dein Buch erwerben?
Das Buch ist in einer kleinen Auflage von 60 Stück erschienen und ausschließlich persönlich bei mir zum Preis von 30 Euro zu erwerben. Die meisten Exemplare habe ich bisher über meine Instagram-Seite verkauft.
Im Herbst 2023 werden 22 neue Kompositionen von mir (Drum Book 22) auf einem Album erscheinen, welches ich mit dem amerikanischen Musiker David Bernabo teile. Es wird auf dem Label ONGOING BOX veröffentlicht und bei ongoingbox.bandcamp.com als Download sowie als eine auf 100 Stück limitierte Vinyl-Ausgabe erhältlich sein. Vielleicht wird es in diesem Zusammenhang eines Tages eine digitale Version des Drum Book 44 geben.
„Meine Liebe gilt der akustischen Musik und ich würde sagen, dass meine größte Stärke das Begleiten von Musik mit Song-Charakter ist.“
In welchen Stilen fühlst du dich zu Hause, wo kann man dich live erleben?
Nach meinem Jazz-Schlagzeugstudium in Köln bei Keith Copeland habe ich lange Zeit ausschließlich Jazz gespielt, unter anderem im Trio mit Benjamin Schaefer und Robert Landfermann. Danach bin ich in der Rockband des Ex-BAP-Gitarristen Klaus Heuser gelandet, mit dem ich etwa 400 Konzerte gespielt habe. Wie viele meiner Kollegen befinde ich mich zurzeit in einer Phase der „Orientierung und Sortierung“. Ich habe das Gefühl, dass sich nach der Konzertpause der letzten Jahre alles wieder etwas finden muss. Ich spiele seit über 20 Jahren im Trio des amerikanischen Pianisten Steve Klink, der in Slowenien lebt. Dieses Jahr wird ein neues Album von uns erscheinen und wir werden ein paar Konzerte in Deutschland und Slowenien geben.
Ein neues Quartett-Album mit der Sängerin Ayça Miraç ist fast fertig aufgenommen und wird nächstes Jahr erscheinen. 2024 werden wir auch mit diesem Quartett hoffentlich wieder mehr Konzerte spielen. Gerade habe ich nach einer dreijährigen Pause wieder die ersten Duo-Konzerte mit dem Londoner Gitarristen Martin Harley gespielt. Ich hoffe, dass es uns gelingt, unsere Zusammenarbeit fortzuführen. Meine Liebe gilt der akustischen Musik und ich würde sagen, dass meine größte Stärke das Begleiten von Musik mit Song-Charakter ist.
Du spielst ja schon sehr lange. Wenn du heutzutage am Schlagzeug übst, beschäftigst du dich dann vorzugsweise mit solchen Dingen, wie sie im Buch zu finden sind? Kann man sagen, dass das dein Konzept ist, um dich am Schlagzeug weiterzuentwickeln und das Instrument weiterhin für dich interessant zu gestalten?
Ja, dies macht einen großen Anteil meines täglichen Spielens aus. Aber das technische Üben von Bewegungsabläufen und die Erweiterung des musikalischen Vokabulars, sei es durch eigens angefertigte Transkriptionen oder Lehrbücher, ist ebenso wichtig für mich. Die Musik, die einen umgibt, ist immer eine Inspiration für die eigene Entwicklung. Im Alltag gibt es auch immer wieder das Vorbereiten von Stücken, die auf Konzerten gespielt werden, sowie die Vorbereitung meines wöchentlichen Unterrichts als Schlagzeuglehrer.
Noch eine Equipmentfrage. Du scheinst eine Schwäche für Vintage Drums zu haben, welche Trommeln favorisiert du und worin besteht für dich die Faszination dieser Instrumente?
Ich habe einen emotionalen Bezug zu Vintage Drums und mag neben Ihrem Klang und der Optik zum Beispiel auch den Geruch aus dem Kesselinneren beim Fellwechsel. Besonders der warme und weiche Klang alter Ludwig-Trommeln mit dreilagigen Kesseln, Verstärkungsreifen und nahezu runder Kesselgratung hat es mir angetan. Das Studio-Bild aus dem WILCO-Loft im Inneren des Albums „Sky Blue Sky“ könnte ich mir stundenlang anschauen. Wenn mich jemand fragt: „Wie soll Dein neues Album klingen?“, würde ich antworten: „Genau so wie dieses Bild!“.